Lieber Erdling,
na, wie geht’s Dir heute? Bist Du bereit für ein neues mathematisches Abenteuer? Ja?! Prima! Dann lass uns heute etwas entdecken, was Du in all Deiner Schulzeit entweder nie gesehen hast oder nie sehen wirst. Etwas Imaginäres! Die Zahl i. (Du kennst das Wort imaginär nicht? Kein Problem. Etwas Imaginäres ist etwas, das es nur in der Vorstellung bzw. Einbildung gibt und das nicht wirklich vorhanden ist.)
Jetzt fragst Du Dich sicherlich, was so imaginär an dieser Zahl? Nun, zu Schulzeiten lernst Du, Zahlen miteinander zu multiplizieren, Du lernst, Zahlen zu quadrieren (= mit sich selbst zu multiplizieren), lernst, dass Quadratzahlen natürlicher, ganzer, rationaler und reeller Zahlen immer nichtnegativ sind. Du lernst, dass das Gegenteil vom Quadrieren das Wurzelziehen ist. (Also, die Umkehrfunktion: Die Wurzel von x ist diejenige nichtnegative Zahl y, die quadriert genau x ergibt, also y2 = x.)
Tja, und jedes Mal, wenn Du aus einer negativen Zahl die Wurzel ziehen solltest, hieß es „Das geht nicht auszurechnen.“ Das war sicherlich frustrierend. Erst hieß es, „3-5 geht nicht auszurechnen“, weil Du die negativen Zahlen noch nicht kanntest. Dann hieß es, „3/5 geht nicht auszurechnen“, weil Du die rationalen Zahlen noch nicht kanntest. Dann hieß es, „Wurzel aus 2 geht nicht auszurechnen“, weil Du die irrationalen Zahlen noch nicht kanntest. Und, was war? Am Ende ging es doch!
Und wie ist es nun mit dem Wurzelziehen aus negativen reellen Zahlen? Na, Du hast es sicherlich schon erraten: auch das geht! Allerdings nicht im Bereich der reellen Zahlen selbst. Hier müssen wir wieder unseren Zahlenbereich erweitern. Und da kommt das kleine unscheinbare imaginäre i ins Spiel. Denn i ist das, was es eigentlich nicht gibt: die Wurzel aus -1. Naja, das ist streng genommen falsch, weil der Begriff „Wurzel“ anders definiert ist. Sagen wir also, i soll jene wundersame eingebildete (= imaginäre) Zahl bezeichnen, die die verrückte Eigenschaft hat, quadriert tatsächlich-1 zu ergeben, also i2 = -1.
Niemand hat diese Zahl i je gesehen. Naja, zumindest nicht auf Deinem Planeten. Aber man kann mega cool damit rechnen! Dafür gehen wir jetzt noch einen irren Schritt weiter und betrachten alle Ausdrücke der Form
a + b × i,
wobei a und b reelle Zahlen sind, und nennen die Menge all dieser Ausdrücke komplexe Zahlen.
2+3i ist also eine komplexe Zahl, genau so wie 3-5i oder 7+0i, was wir bisher immer nur als 7 geschrieben haben. Eine komplexe Zahl a + b × i hat einen reellen Teil a und einen imaginären Teil b × i. Reelle Zahlen sind also genau jene komplexen Zahlen ohne Imaginärteil, das heißt, alle komplexen Zahlen der Form
a + 0 × i.
So, und nun zum Rechnen. Als erstes: wann sind zwei komplexe Zahlen gleich?
a + b × i = c + d × i
soll genau dann gelten, wenn a = c und b = d, das heißt, wenn die Ausdrücke wirklich im Real- und im Imaginärteil übereinstimmen.
Wie sieht es mit Addition und Subtraktion aus?
(a + b × i) + (c + d × i) = (a+c) + (b+d) × i
Zum Beispiel
(2 + 3i) + (4 + 5i) = 6 + 8i
Man addiert/subtrahiert komplexe Zahlen also so, dass alles ohne i und alles mit i jeweils addiert/subtrahiert wird.
Und wie geht die Multiplikation? Wie immer!
(a + b × i) × (c + d × i) = (a×c) + (a×d) × i + (b×c) × i + (b×d) × i2
Zum Beispiel
(2 + 3i) × (4 + 5i) = 2×4 + 2×5i + 3×4i + 3×5i2
Wie? Das findest Du nicht mehr cool? Nun, das Ausmultiplizieren kannst Du ja hoffentlich noch, oder?! Einfach jeden Summanden des ersten Faktors mit jedem Summanden des zweiten Faktors multiplizieren und diese 4 Produkte summieren. Das ist doch eigentlich babyeinfach, oder?! Ah, verstehe! Du meinst, das Ergebnis sieht nicht cool aus. Na, das lässt sich doch ändern!
Denn wir wissen ja, dass i2 = -1 ist, also ist:
(2 + 3i) × (4 + 5i) = 2×4 + 2×5i + 3×4i + 3×5i2 = 8 + 10i + 12i – 15 = -7 + 22i,
also wieder eine komplexe Zahl! Cool, stimmt’s?!
Noch cooler wird es allerdings, wenn wir zwei komplexe Zahlen dividieren! Denn hier werden wir tatsächlich einmal eine der binomischen Formeln sinnvoll anwenden. Und zwar für einen kleinen Trick. Anstatt
(a + b × i) / (c + d × i)
zu berechnen, erweitern wir den Bruch zuerst mit (c – d × i):
(a + b × i) / (c + d × i) = [(a + b × i) × (c – d × i)] / [(c + d × i) / (c – d × i)]
Zu kompliziert? Und, was bringt’s? Na, dann mal einfach mit Zahlen:
(2+3i) / (4+5i)
= [(2+3i) × (4-5i)] / [(4+5i) × (4-5i)]
= (8-10i+12i-15i2) / (42 -52 i2)
= (8+2i+15) / (42 +52)
= (23+2i) / 41
Na, hast Du gesehen, wo die dritte binomische Formel Anwendung gefunden hat? Und als Ergebnis dieses Tricks wird der Zähler plötzlich zu 41, einer reellen Zahl. Ohne jegliches i. Und wie wir eine komplexe Zahl durch die reelle Zahl 41 dividieren können, das hast Du sicherlich schon selbst erraten:
(23+2i) / 41 = 23/41 + 2/41 i
Also ist auch der Quotient zweier komplexer Zahlen wieder eine komplexe Zahl! Cool.
Und, gibt es zu jeder komplexen Zahl x auch eine „Wurzel“, sprich, eine komplexe Zahl y, die quadriert x ergibt? Ja! Immer! Coool! Aber darüber schreibe ich Dir ein anderes Mal.
Für heute: gute Nacht!
Deine 3,7