7. WILDE FORMEL

Lieber Erdling,

diesmal wird es vielleicht nur ein kurzer Brief. Ich sehe nur noch Sterne und die tanzen ganz wild im Kreis. Uff! Schuld daran ist ein kleines Quirkblatt, auf dem stand:

Was ist die Summe der ersten n Zahlen? In anderen Worten, wieviel ist    

1+2+3+4+5+…+n

für eine beliebige Zahl n? Finde eine Formel!

Rudi und ich hatten erst keine Ahnung, was wir machen sollten. Irgendwie war das Blatt diesmal in der Geheimsprache der Mathematiker verfasst. Was ist denn bitteschön eine Formel?! Puh. Aber mal schauen, ob wir diese Geheimsprache nicht entziffern können! Also diskutierte ich mit Rudi ein wenig herum, was denn eigentlich die zu lösende Frage sein könnte. (Jaja, manchmal muss man bereits nachdenken, um zu verstehen, was eigentlich gefragt wird. Spannend!) Wie sollen wir zum Beispiel

1+2+3+4+5+…+n

lesen? Rudi meinte, das soll bestimmt heißen, dass wir alle Zahlen von 1 bis n zusammenaddieren sollen. „Ja, aber wie groß ist denn n?“, frage ich ihn grübelnd. Rudi lacht und meint: „Suche Dir eine Zahl für n aus! Wenn Du für n zum Beispiel die Zahl 7 wählst, dann sollst Du die Summe 1+2+3+4+5+6+7 finden und wenn Du für n dagegen 100 wählst, dann sollst Du 1+2+3+4+5+…+100 finden. Da haben wir übrigens die Summe mit Punkten abgekürzt, weil wir keine Lust hatten, 100 Zahlen hinzuschreiben.“ Okay, das leuchtet mir jetzt ein. Wann immer ich mich für eine konkrete Zahl für n entscheide, bedeutet 1+2+3+4+5+…+n, dass ich alle Zahlen von 1 bis n hinschreiben und dann addieren soll. Sind es zu viele Zahlen, kürze ich das durch Punkte ab, weil jeder ja leicht erkennen kann, welche Zahlen ich anstatt der Punkte hinschreiben wollte.

Okay, aber was ist eine Formel? Rudi ist heute ein echter Schlaumeier und meint: „Damit kann man wohl das Ergebnis ganz kurz hinschreiben. Zum Beispiel, wenn ich 1+1+1+1+1 schreibe, dann kann ich das kürzer als 1+1+1+1+1 = 5 schreiben. Und wenn ich beliebig viele Einsen addieren will, dann bekomme ich folgendes:

Anstatt also auf meinem Taschenrechner Schritt für Schritt 1+1+1+… auszurechnen, kann ich das Ergebnis sofort herausbekommen, indem ich einfach meine Zahl für n einsetze.“

Hmm, eine Formel für 1+2+3+4+5+…+n würde uns also helfen, diese Summe ganz schnell auszurechnen, auch wenn n gaaanz groß wäre. Cool! Aber wie finden wir solch eine Formel? Fangen wir doch mal an zu rechnen:

Also irgendwie kann ich nicht erkennen, welches Muster hinter den Summen 1, 3, 6, 10, 15, 21, 28 steckt. Du? Tja, dann hilft wohl nur wieder Nachdenken. Bei diesem Gedanken muss ich schmunzeln. Genau dies macht Rudi und mir ja soviel Spaß. Unbekannte Muster erkennen. Und wenn wir mal wieder eine harte Nuss geknackt haben, dann tanzen wir oft beide freudig durch den Garten oder machen Purzelbäume. Während ich noch so vor mich hin träume, kreischt Rudi plötzlich laut auf. „Yippie! Ich habe eine Idee! Oh, ja, ich glaube, das funktioniert!“ Ganz aufgeregt fliegt er hin und her. „Kannst Du Dich noch erinnern, wie wir 1+2+3+…+100 ausgerechnet haben?“, fragt er mich halb außer Atem. „Klar. Wir haben Paare von Zahlen gesucht, die zusammen 100 ergeben.“, antworte ich, ohne einen Plan zu haben, worauf er hinauswill. Er verdreht nur die Augen und gibt mir einen weiteren Tipp:

Von vorn nach hinten und hinten nach vorn, doppelt ist halb gewonnen.

Hmm, das stand doch mal auf einem Quirkblatt als Hinweis. Achja, natürlich! Es gab da noch einen anderen Weg, 1+2+3+…+100 auszurechnen:

Das sind also 100 mal 101 und dann müssen wir das Ergebnis noch halbieren, da wir die Zahlen jeweils doppelt gezählt haben: 100×101:2 = 5050. Richtig, das haben wir damals mit unseren Paaren auch herausbekommen. Und nun? „Jetzt mach einfach mal das Gleiche für 1+2+3+4+5+…+n.“, ermuntert mich Rudi freudestrahlend. Offenbar ist er sich schon ziemlich sicher, dass dieser Weg zum Ziel führen wird. Na, dann schauen wir uns das doch mal an:

Okay, der Trick scheint wirklich wieder zu funktionieren. Wieder ergeben die einzelnen Summen das gleiche Ergebnis, nämlich n+1. Wir müssen genau n solcher Zwischenergebnisse aufaddieren und bekommen n×(n+1). Und da wir wieder jede Zahl doppelt gezählt haben, müssen wir wieder durch 2 dividieren. „Die Summe ist also n×(n+1):2?“, frage ich Rudi. Rudi antwortet nicht, sondern macht nur begeistert einen Salto rückwärts. Den würde ich jetzt zwar gerne auch machen, aber zum einen kann Rudi das viel besser und zum anderen bin ich noch ziemlich skeptisch, ob meine Lösung stimmt. (Na gut, eigentlich ist es ja Rudis Lösung. Ich habe aber immerhin die Details zu seiner Idee gefunden! Also ist es auch ein wenig meine Lösung.) Fragend schaue ich Rudi an: „Ist das denn die gesuchte Formel?“ Rudi lächelt. „Na, wenn Du Dir nicht sicher bist, ob Du Dich irgendwo verrechnet hast, dann mach doch eine Probe mit verschiedenen Zahlen für n!“

Da hat Rudi natürlich Recht. Zwar kann ich mir mit einer Probe auch nicht absolut sicher sein, dass meine Formel stimmt, aber ich kann mir zumindest ein wenig sicherer sein, dass ich wahrscheinlich keinen Rechenfehler gemacht habe. Sollte die Probe aber nicht klappen, dann müsste ich definitiv irgendwo einen Rechen- oder Gedankenfehler haben. Also dann mal los! Für n = 7 sagt die Formel eine Summe von 7×(7+1):2 = 7×8:2 = 28 voraus. Und tatsächlich, 1+2+3+4+5+6+7 = 28. Super. Das passt schon mal. Und für n = 100? Da soll laut Formel das Ergebnis

100×(100+1):2 = 100×101:2 = 5050

sein. Das stimmt auch! Ich teste die Formel erfolgreich noch mit ein paar kleineren Zahlen für n und lehne mich beruhigt zurück. Wie es aussieht, habe ich die gesuchte Formel für die Summe gefunden:

1+2+3+4+5+…+n = n×(n+1):2

Wir schreiben sie auf das Quirkblatt, das sich daraufhin auflöst und viele bunt glitzernde Sternchen durch die Luft wirbeln lässt. Ein unglaubliches Schauspiel!

Na gut, lieber Erdling, jetzt ist es doch ein recht langer Brief geworden. Rudi und ich grüßen Dich ganz lieb und tanzen jetzt noch ein wenig in den glitzernden Sternchen.

Deine 3,7

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